„Meister der Phantastik“- Unter Büchertürmen und auf großen Bühnen

Nur noch wenige Tage, bis es losgeht, die Deutschlandlesetour, die ich in 10 verschiedenen deutschen Städten moderieren werde. Die „Meister der Phantastik“ sind keine Geringeren als Markus Heitz, Bernhard Hennen und Kai Meyer. Schon als Jugendliche waren mir ihre Bücher vertraut. Ich stelle mir vor, meinem 14-jährigen Ich zu erzählen, was nun bald Wirklichkeit ist. Schnell wird klar: Ich hätte mir niemals geglaubt …

Wieder retten mich Bibliotheken und diesmal gleich im Doppelpack. Neu-Ulms Bücherei kann sich in Sachen Phantastik wirklich sehen lassen. Allerdings stehen Kai Meyers Jugendbücher neben der „fließenden Königin“ und ich bin mir sicher, da wird eine unbescholtene Seele literarisch frühreif, schlimmstenfalls lebensklug werden. Es wird sein, wie als mir Edgar Allan Poe mit 11 begegnete, nachts im Bücherschrank meiner Mutter, in dem es keine Kinderbücher gab, nur Sehnsucht, Science Fiction, Philosophie, Tod und großes Wissen. Kant und Poe lehnten einander an und ab. Es kam wie es kommen musste, als ich „The Raven“ mit 12 auswendig kannte und meinem Englischlehrer mit dem schrecklichen Dialekt frei rezitierend an den Kopf warf und nach fianlly schöner Sprache auch im Englisch-Unterricht verlangte. Shakespeare war uns demnach ebenfalls nicht gegeben. Aber Reclam gab ihn mir, die Bibliotheken liehen ihn mir zweisprachig und ich verstand, dass die Liebe alles war zwischen Leben und Tod und dass dies der Grund war, warum auch ich eines Tages schreiben würde.

Was Neu-Ulm an Phantastik nicht zu bieten hatte, glich diesmal Ulms Stadtbibliothek aus und wenig später befand ich mich mit knapp 150 Büchern aus beiden Bibliotheken in meinem Neu-Ulmer Pensionszimmer. Zwischen und in Büchern leben, ich bewohne das Paradies seitenweise. Ich lese schnell und ich erinnere mich dabei an Geschichten, auch an die Geschichten hinter und um die Geschichten. Wo ich sie gelesen habe und mit wem, was davor kam und was danach, wie ich mich dabei gefühlt habe. Dicke Bücher haben mich immer beruhigt, noch so viel Welt vor mir, habe ich dann gedacht. Das ging immer zwei bis drei Tage und dann war ich zurück in dem, was außerhalb von Büchern geschieht. Ich türme sie auf, das Pensionszimmer verändert sich und ich vergleiche die individuellen Entwicklungsgeschichten der 3 Meister anhand ihrer Fotos in den Büchern und frage mich, ob das mal jemand mit mir tun wird, hoffentlich nicht. Noch nie wurde ich so oft fotografiert wie in meiner Zeit als Stadtschreiberin von Neu-Ulm. Ablichten, jemanden reproduzieren. Da gab es einen Punkt in der Jury-Entscheidung, der es mir noch immer eiskalt den Rücken runter laufen lässt: „Vermarktbarkeit“. Mein Marktwert ist jetzt schriftlich bestätigt, im Zeitalter der Digitalität erfasst, womöglich abgeglichen und berechnet. Nevermore, krächzt noch immer Poes Raven und ich weiß, dass mir alle Türen und Fenster offen stehen, um zu fliegen, zu springen, zu gehen, zu schreiben oder zu lesen, um lesbar gemacht zu werden. Die Entscheidung liegt bei mir und dort wird sie liegen bleiben.

Die Sonne geht zwischen zwei Städten auf der Donau auf. Ich passiere die Grenzen, „Welcome to the Länd“ sagt die Brücke in nur eine Richtung, sie liegt bereits hinter mir. Mein Silberkoffer rollt über den Brückenasphalt. Da sind nur die aufgehende Sonne auf dem Wasser, der Koffer und ich. Ruhe vor dem großen Bühnensturm. In mir sind alle Geschichten, einige heften sich an mein Herz, andere haben Narbengewebe schmerzen lassen. Meine Narben sind Anknüpfungspunkte, ihnen entwachsen wilde, phantastische Dschungel, auch eine fließende Königin geht vorüber, denke ich. Ich überlege, welche Rolle Königinnen spielen, in einer Welt aus Zwergen, Kobolden, Elfen, Drachen, Kobolden und Albae. Ich werde das die Meister fragen. Wieder wünsche ich mir all die Sprachen zu sprechen, in die ihre Bücher bereits übersetzt sind und mache mir wieder Gedanken zur literarischen Übertragbarkeit von Liedern. Noch kann ich nicht fassen, dass ich wirklich alles fragen kann, alles, vor Publikum, Antworten hat man mir versprochen.

Der blassrosa Test eines Meisters hat 4 Tour-Termine in den September verschoben. Zweimal wurde die Tour selbst zuvor schon verschoben, zweimal die Moderatorin getauscht. Dann kam ich. Ich höre meine Urgroßmutter lächeln und sagen: „Aller guten Dinge sind drei“. Später wird mich Victoria Doyle „die Lady mit dem Fächer“ nennen, von den phantastischen Meistern und ihrer „Dompteurin“ sprechen, aber das weiß ich zur Zeit der aufgehenden Sonne noch nicht. Auch nicht, wie sehr ich die deutsche Bahn noch hassen werde.

Die Tour bedeutet für mich auch jeden Tag, pünktlich, gut vorbereitet und möglichst ausgeschlafen in einer anderen deutschen Stadt zu sein, sich spontan und schnell zurechtzufinden, in Düsseldorf, Stuttgart, Berlin, Hamburg, Leipzig und Köln. Mein persönliches Tagesziel ist zeitweise eine rettende Dusche, an Schlaf und essen ist oft nicht zu denken. Wie gut, dass überall Wunder geschehen, besonders im Kleinen, damit im Großen und um mich herum.

Die meisten Menschen wissen gar nicht, was unscheinbare, liebevolle Gesten für fremde Reisende bewirken können. Ja ich gebe zu; ich bin mindestens einmal gerettet worden, u. a. vor der deutschen Bahn. Ich hatte im Hinter- und Vordergrund Lotsen, Wegbegleitung, kalten, irgendwie französischen Kaffee, und jede Menge Engel um mich.

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich draußen in einem Café, ein Reisender kommt auf mich zu, müde, offenbar bereits viele Tage unterwegs. Ich sehe das an seinem Gesicht, er trägt alles bei und an sich. Schlafsack, eingerollte alter Isomatte, großer Rucksack, auf dem hinten ein T-Shirt trocknet, schmutzige, bald durchgelaufene Schuhe. Ich kenne dieses Leben, ich habe es selbst einmal geführt und gefühlt, bin von Konstanz nach Santiago gelaufen, ohne Geld, war auf meine Füße und das Vertrauen in Fremde angewiesen. Nach Geld habe ich nie gefragt und unendlich viel mehr bekommen. Heute tausche ich Geld gegen Lachfalten in einem wettergegerbten Gesicht, das ich durchaus von der Bettelmafia unterscheiden kann, denn dieser Mensch geht, obwohl schwer belastet, sehr aufrecht. Sein Lächeln und die vor dem Herzen zusammengeführten Hände segnen mich. Und ich weiß, dass wir alle ankommen werden, dort, wo wir wirklich hingehören. Die Welt ist eine Bühne und manchem ist die Rolle auf die Brust geschrieben. Anderen ist sie auf den Rücken tätowiert. Spätestens an dieser Stelle im Leben sind Bernhard Hennens Drachenelfen im Spiel.

Ich bin spät in Düsseldorf nach ausgefallenen und verspäteten Zügen angekommen und denke an meine Cousinen und den einen Cousin, der als Kind völlig selbstbestimmt alles mit „nö“ beantwortet und kommentiert hat. An ihm sollte ich mir zukünftig wieder ein Beispiel nehmen. Immer wenn ich Bahn fahren muss, stelle ich fest, dass ich nicht für Menschen gemacht bin. Ich nehme das Hotel nur am Rande war, finde irgendwo im Vorbeischweben einen kalten Falafelburger und mein saphirblaues Kleid, bin schon im Soundcheck, kurz nachdem ich mein Brötchen auf einer aufgeheizten Dachterrasse mit einer Taube geteilt habe. Ihr zufriedenes Gurren beruhigt mich auch jetzt noch, jetzt, wo sich das Mikro so in meinen Haaren verheddert, dass ich als Einzige eins für die Hand bekomme. Besser so, keine Vor-Augen-Penetration während des Sprechens. Ich lege meine pinkfarbene Handtasche auf der Bühne vor Kai Meyer ab, später wird man behaupten, es sei seine gewesen. Schon sind wir mitten in der Show und ich darf jeden Meister alles fragen, und ich habe viele Fragen und das Publikum auch, weshalb wir nur etwa anderthalb Stunden überziehen. Die Techniker mögen mir vergeben, bete ich in der Garderobe, die eigentlich für Tänzerinnen ist. Ich schaue in von Licht gerahmte Spiegel und denke an ein vergangenes Leben, in dem ich meinen Körper spielen konnte wie ein Instrument. Ein altes Theater, Bühnenlicht wie früher, von Lampenfieber keine Spur, nur ein Hauch Traurigkeit, immer, wenn ich ans Tanzen denke. Die Meister signieren bis lange nach Mitternacht und nehmen sich Zeit für das Publikum mit den interessanten Fragen. Das war er also, der Auftakt in Düsseldorf für die erste Meister der Phantastik Tour und ich, ich bin da so durchgerauscht. Gut waren selbst die dunkelroten Backstage-Weintrauben. Eine habe ich auf ein samtbezogenes Sofa gelegt, nur um kurz an Jack the Ripper und seine traurigen Huren zu denken. Ein Meister bemerkt es und hält die Traube für eine Zufälligkeit, Unachtsamkeit, einen Unfall vielleicht. Was er wohl von Tänzerinnen im Spiegellicht gehalten hätte?

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In Stuttgart verspätet sich alles. Als ich endlich angekommen bin in völliger Hitze, die der Asphalt auf mich zurückwirft, sind die Öffentlichen und der Weg zum Hotel vom Bahnhof aus eine Unmöglichkeit. Die Zeit rennt und es bleibt nur noch der Weg zu Fuß. Überall Umleitungen, gestrandete Menschen, Touristen und immer noch Hitze. Als ich schon nicht mehr weiter weiß, sehe ich einen jungen Porsche-Fahrer vor seinem Wagen in Malerkleidung posen. Wieder ein Job, den ich mal hatte, den Maler, nicht das Posen. Den kann ich nach dem Weg fragen, denke ich. Er beschreibt ihn mir so genau, dass ich nichts behalte, außer, dass das zu Fuß echt schwierig wird von hier aus. Offenbar sehe ich nach etwa 15 Stunden mit der Bahn so hoffnungslos Mitleid erregend aus, dass er anbietet, mich zum Hotel zu fahren. Yannick hat mich wirklich gerettet. Ich werde vorgefahren und die Meister gucken nicht schlecht. An der Hotelrezeption kommt überraschend mein Französisch zurück, ich scherze mit dem netten Menschen auf vier verschiedenen Sprachen und bitte um kalten Kaffee. Er verspricht mir den besten kalten Kaffee und den bekomme ich auch wenige Minuten später vor meine Tür gestellt, während ich auf das Klopfen hin laut aus der Dusche brülle, dass hier nichts zu holen ist. Auf dem Weg zum Soundcheck möchte ich mich bei dem Franzosen für den besten kalten Kaffee des letzten halben Jahres bedanken und mich gleichzeitig für das Brüllen aus der Dusche entschuldigen. Manche Hotels halten sich eben einfach Löwen und auch die muss man baden. Doch der wunderbare Mensch ist bereits im Schichtwechsel verschwunden. Das „Hear-me-roar“ ist eine andere, lautere Form des „Nö“ und mein Cousin wäre stolz, das weiß ich jetzt mit Sicherheit.

Stuttgart überrascht mich wieder positiv, jeder Frage im Publikum geht ein „Herzlich willkommen in Stuttgart“ voraus und das ist ernst gemeint. Die Fragen sind klug und durchdacht und kommen zunächst vor allem von Frauen. Wir sind dabei, wieder zu überziehen, und das Bühnenlicht knallt uns erbarmungslos auf die ohnehin erhitzten Köpfe. Kai Meyer spricht über die Bedeutung von Licht in seinen Romanen. Markus Heitz inszeniert arme Onkelz, die nicht mehr lange zu leben haben. Die Sache ist rund und am Ende des Abends wartet eine liebe Freundin, die von Krefeld nach Rosenheim gezogen ist. Jenny, der ich meinen koreanischen Vulkangott für eine große Ausstellung im Rosenheimer Lockschuppen überreichen werde. Es ist wie das verrückte Spiel, dass ich in der Hotellobby lerne und kein einziges Mal verliere. Am nächsten Morgen, rieche ich zum Abschied an einem riesigen Blumenstrauß im Foyer. Ein arabischer Rezeptionist mit gut geöltem, duftigem Bart, nicht der tolle Franzose mit dem kalten Kaffee, greift für mich in den Strauß und schenkt mir eine pinkfarbene Reiserose, die ich in meiner Wasserflasche durch vier Städte bis nach Neu-Ulm reisen lasse. Ich sollte öfter Kleider tragen.

Dann steht Berlin an, ich werde das Huxleys wiedersehen und André, meinen Freund, der in Erfurt lange mein Nachbar war, der jetzt in Berlin lebt, wie große Teile meiner Familie. Zuletzt waren André und ich hier auf einem Konzert von Bat for Lashes. Es fühlt sich so weit weg an, als wäre es in einem anderen Leben gewesen, so wie die Zeit, als André und ich Nachbarn waren. Als wir noch in der großen Arche wohnten. Dieser Soundcheck dauert am längsten und tut mir in den Ohren weh, das Huxleys kommt mir entweiht vor, wie habe ich die Illusion geliebt, dafür ist der Backstage-Bereich genauso interessant wie Komplimente vom Meister der Zwerge. „Du hast die Füße schön“ ist eines davon. Ballerina-Füße sind nie schön, egal, wie hübsch ich sie maniküre, aber man sieht ihnen an, dass sie in vollen Zügen getanzt haben, wie meine Hände. Auf der Bühne im Huxleys sein fühlt sich für mich etwas an, wie stille Post spielen. Kai, Bernhard und ich verstehen uns akustisch noch gerade so, weil wir nebeneinander sitzen. Markus hingegen sitzt zu weit weg und ich muss an seinen Lippenbewegungen erraten, was er sagt. Gut, dass ich sowas wie eine pantomimische Meisterin bin. Ich stelle meine Fragen ins Blaue und bete, dass das nicht komisch wird, weil wir einander nicht hören können. Es funktioniert, wir sind bereits ein eingespieltes Team. Die Zeit verfliegt und wir sind schon wieder am Überziehen. Ich will die abschließende Publikumsfragerunde schon beenden, da sagt mir Bernhard Hennen, dass ich noch eine letzte Frage zulassen soll. Das Mikro für die Publikumsfragen funktioniert ebenfalls nicht richtig und wir spitzen die Ohren für eine Frau, die sich mit Gehhilfe nur langsam Richtung Mikrofon bewegt. Diese letzte Frage ist überraschenderweise für mich bestimmt. Ich greife mir an die Brust und denke, dass ich doch heute nur Moderatorin bin, gar nicht im Fokus stehen will. Sie erzählt, dass sie alle meine Kurzgeschichten gelesen hat und dass „Jenseits BlassBlau“, das sie heute sogar mitgebracht hat, ein gewichtiges kleines Buch ist, dann fragt sie laut, wie es um meinen ersten Roman steht. Jetzt ist es also so weit, es wird öffentlich, ich kündige „Dysfunctional Woman“ und die Debütlesung in Krefeld für kommenden Februar an und auch, dass Bernhard Hennen die gesamte Lesereihe der Burg moderiert. Alles ins Leben gerufen von einer ehemaligen Burgherrin, die jetzt Vulkangötter für Rosenheim sammelt. Berlin gleitet zu schnell an mir vorüber, wie die Nacht, und ich habe nur zwei Stunden Schlaf, weil ich am nächsten Morgen zurück nach Neu-Ulm fahre, um an der Volkshochschule in Ulm Kreatives Schreiben zu unterrichten, die bildende Künstlerin Myrah Adams innerhalb meiner eigenen Veranstaltungsreihe „Verweile doch! du bist so schön!“ zu interviewen und den Dichter José Oliver zu treffen. Das klingt turbulent und ich kann nur sagen, das war es auch. Alles, was blieb, war ein anderthalbtägiger Tinnitus.

Ich reise von Neu-Ulm aus bei Sonnenaufgang mit der Bahn nach Hamburg. In Hamburg bin ich so spät dran, dass ich ein Taxi nehmen muss. Der Taxifahrer telefoniert ununterbrochen in einer mir fremden, afrikanischen Sprache. Überall hängen Muscheln. Ich liebe Muscheln und lasse den Taxifahrer in Ruhe telefonieren. Er betet gemeinsam mit einem Freund. Der interessante Mann kennt alle Schleichwege, Hamburg ist verstopft wie nie, verstopft wie immer. Es ist ein stilles Einvernehmen, wenn die Menschen so sein dürfen, wie sie eben sind, wenn sie laut beten dürfen mit Freunden, vor Fremden, lachend inmitten von fahrenden Muscheln. Ich komme rechtzeitig im Hotel an und gebe ein großzügiges Trinkgeld. Ich bekomme nicht nur ein zahnlückiges Lächeln, sondern werde gesegnet und mein Koffer wird bis direkt vor die Rezeption getragen. An der Rezeption hingegen lässt man sich alles Zeit der Welt. Ich werde ungemütlich, habe ich es doch so weit geschafft, in den Hamburger Regen hinein in einem Sommerkleid, mit zwanzig Grad Unterschied zu Neu-Ulm. Ich sage, dass das jetzt für mich schon ein Notfall ist und der Hamburger Humor lässt mich wenige Minuten später in das Zimmer 112 einchecken.

In Hamburg lesen die Meister in einer Kulturkirche in Altona. Ich habe diese Kirche vom ersten Augenblick an geliebt und im Soundcheck laut meine Gedichte vorgetragen, als noch kein Publikum da war. Bernhard Hennen hat es heimlich gefilmt. Alle Stimmen wirken voller und getragen. Die Meister liefern ihre in meinen Augen und Ohren bisher beste Lesung ab, alles geht ein bisschen langsamer und fast ehrfürchtig. Die Lichttechnik schafft Überirdisches. Eigentlich sollte meine Cousine Catherine im Publikum sitzen. Ich ging so fest von ihrer Anwesenheit aus, dass ich Markus Heitz damit ankündigte, jetzt Familiensagas zu schreiben, extra für sie, die (abwesende) Cousine. Als ich dann ins Publikum fragte, wo denn meine Cousine als großer Markus-Heitz-Fan sitze, gingen viele Arme hoch. Hamburg hat eben irgendwie Humor, selbst in Kirchen.

Markus Heitz wagt es und liest einen gotteslästerlichen Textauszug, der dem Monotheismus Böses tut in einer Kirche, Bernhard Hennen, Kai Meyer und ich erwarten mindestens Blitzschläge, Donner und den einen oder anderen Felsbrocken des Niedergangs, nichts geschieht. Irgendwo heimlich muss eine katholische Jungfrau für ihn gebetet haben. Ich kenne eine langhaarige, die ist unter anderem Science-Fiction-Autor und lebt in Köln.

Auf Leipzig freue ich mich besonders, das ist nah an meiner Heimat und mein komplettes Verlagsteam wird mich dort überraschen und für eine Nacht mit nach Hause nach Erfurt nehmen. Der Beduinenkönig bringt den Chef-Lektor Stephan Herbst und die Literatur-Übersetzerin Bianca Katharina Mohr. Sie sind für mich die drei schönsten Menschen des Abends. Bianca kommt als weiße Fee hinter Schleiern und mit einem wie glitzernden Überraschungsgeschenk. Hermine Grangers Zeitumkehrer persönlich, man, den kann ich echt auf allen Ebenen gebrauchen. Gut, dass wir wahrhaftig zaubern können. Shawakh beobachtet als Beduinenkönig wie immer genau. Auf der Bühne schließe ich die Augen, um den Meistern zuzuhören. „Das solltest du nicht tun“, wird er mir später sagen, „sonst glaubt noch jemand, du schläfst mitten auf der Bühne ein“.

Die Mittsommernacht verbringe ich zu Hause, begrüßt von Lunabells zärtlichem Gesang in großer Liebe und inmitten meiner drei rosa Vögelchen, von denen eines langsam bläulich schimmert. Ich dusche Orchideen und wasche Sachen. Nur ein Wimpernschlag später geht es von Erfurt aus auf zum nach Abschluss nach Köln, wo die langhaarige Jungfrau wohnt und für mich betet.

Das Gloria ist ein wunderschönes Theater mit einem lustigen Techniker, der mein Mikroproblem sofort gelöst hat. Der auf seinen Unterarm tätowierte Papagei ist für mich ein rosa Sittich und erinnert mich an den Mondgesang von Lunabell, die so besonders ist, dass ich ihr einen Namen erfinden musste, und an Mila, die Star-Wars-Laserschwert-Geräusche imitiert, an Lou, der ein Sonnenkönig ist und das Mondschönchen mit jeder rosa Feder liebt.

Wieder einen Wimpernschlag später ist auch diese vorerst letzte Show vorbei. Hermines Zeitumkehrer funktioniert glänzend und ich bin J. K. Rowling wieder von ganzem Herzen dankbar, für die Ausdehnung ihrer magischen Welt in das, was wir als Alltag kennen. Ähnlich Großes vermögen auch die drei Meister der Phantastik und ich bin dankbar für alles neue und alte Wissen, das ich mir mit ihrer Hilfe aneignen durfte.

Jetzt bin ich in meinem Pensionszimmer als Stadtschreiberin Neu-Ulms zurück und stehe kurz vor dem Intensivschreibkurswochenende an der Volkshochschule Ulm. Keine Zeit zum Durchatmen. Ich sehe die Büchertürme, die ich aus Bibliotheksleihgaben gebaut habe. Noch bevor ich auspacke, beginne ich zu lesen. Gott sei Dank lese ich schnell.

Fotos: Julia Kulewatz

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