Abschied und Ausblick

Konstanz, im Juli 2019

Liebes Neu-Ulm,

als ich am 1. März in mein Pensionszimmer kam, stand ein üppig gefüllter Geschenkkorb auf dem Tisch. Auch wenn sich dieser Korb im Lauf meines Aufenthalts leerte – für mich ist er als Metapher für meine Zeit als Stadtschreiberin reich gefüllt geblieben. Ja, er ist jeden Tag voller geworden.

Vier Monate lang habe ich mit Dir gelebt, habe geschaut und gestaunt, gefragt und recherchiert, Gespräche gesucht und Menschen gefunden. Ich habe Verborgenes entdeckt, sprechende Details, spannende Widersprüche, ich habe Kontexte sich mischen gesehen, Doppelbelichtungen von Straßenbildern, das Spezielle im Alltäglichen. Die Simultaneität von allem.

Und ich habe viel geschrieben. Nüchtern beschreibend zuerst, dann in überhöhender, poetisierender Weise. Dabei meint „poetisieren“ keineswegs schönschreiben, das Gesehene quasi photoshoppen und idealisieren, sondern einen poetischen Mehrwert schaffen: Vieldeutigkeit als Offenheit vermitteln, einen anderen Blick anbieten, zum Nachdenken über die Dinge anregen.

„Aufbruch“ war das Motto für die Ausschreibung, und Aufbruch trifft auch auf mich zu: Bin ich mir doch durch permanentes Schauen, Sehen, Sprechen und Schreiben meines literarischen Ansatzes immer gewisser geworden. Immer differenzierter hat sich eine eigene Poetik entwickelt – meine Art zu schreiben. Ich würde sie so formulieren: Mit investigativ-poetischem Blick über die Dinge hinaus schreiben. Dies ist auch mein Anspruch für das entstehende literarische Werk.

Ein solches Geschenk gäbe es nicht ohne die vielen Menschen, die mich in den zurückliegenden Monaten interessiert, umsichtig und großzügig begleitet haben. Menschen von Stadtmarketing, Stadtkultur und Stadtarchiv, vom Literatursalon Donau und Edwin-Scharff-Museum, von Medien und Schulen, Unternehmer und Mäzene, Mit-Autoren*innen und Zufallsbegegnungen, die sich als Kunstentdeckungen entpuppten; Begegnungen, aus denen ein Freundeskreis wurde.

Die Unternehmungen und Anregungen waren zahlreich und vielfältig: Vernissagen und Lesungen, Konzerte, Theaterabende und Lyrik-Runden, Stadtspaziergänge, Filmaufnahmen und Führungen, dicke Geschichtsbücher, Radtouren über die Dörfer, Gespräche über Kopftücher, Kunst und die Welt. Und nicht zuletzt meine eigenen Lesungen und der Austausch über Literatur.

Ich habe große Aufmerksamkeit erfahren – Stadtschreiberin zu sein hat viele Türen geöffnet und Herzen, und ich habe die Aufmerksamkeit genossen – nicht aus Eitelkeit, sondern weil es immer um Inhalte ging, immer um Dich und das, was Dich besonders macht.

Eine wunderbare, intensive Zeit durfte ich mit Dir verbringen; dafür kann ich nicht genug danken.

Herzlich,
Deine Stadtschreiberin

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